Franz Welser-Möst dirigiert am 30. November im Benefizkonzert für „Leipzig hilft Kindern“ von Richard Strauss die „Symphonia domestica“ und Ludwig van Beethovens fünftes Klavierkonzert. Solist am Klavier ist Igor Levit.
So lange der Weihnachtsmarkt nicht eröffnet ist, der Adventskalender noch nicht an der Wand hängt, der einschlägige Kranz auf dem Tisch steht, hat sie noch nicht richtig angefangen, die Weihnachtszeit. Und ohne sie geht es auch nicht: die Benefiz-Gala am Vorabend des Ersten Advents im Gewandhaus. Seit 2009 gehen die Erlöse dieser Großen Concerte, die Gewandhaus, Leipziger Volkszeitung, Sparkasse Leipzig, Verbundnetz Gas AG und Porsche Leipzig präsentieren, an die gemeinsame Stiftung „Leipzig hilft Kindern“.
Not vor der Haustür
Die hat sich „die Unterstützung und Förderung der Jugendhilfe, insbesondere der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit, des erzieherischen Jugendschutzes, der Erziehung in der Familie, in Tageseinrichtungen sowie die Förderung von Volks- und Berufsbildung und Erziehung“ zum Ziel gesetzt – und zwar vor allem in Leipzig und Umgebung. Denn auch vor unserer Haustür gibt es Kinder, die unverschuldet in Not geraten sind.
Auf dem Zenit
In diesem Jahr gibt es im großen Saal des Gewandhauses großes Starkino: Ludwig van Beethoven, dessen 250. Geburtstag die Musikwelt im nächsten Jahr feiert, stand im Zenit seines Schaffens und seines Ruhmes als Komponist und Pianist, als er sein fünftes und letztes Klavierkonzert schrieb, das am 28. November 1811 im ersten Leipziger Gewandhaus uraufgeführt wurde. Und Richard Strauss wartete zwar noch auf seinen endgültigen Durchbruch als Opernkomponist, aber seine Sinfonischen Dichtungen hatten ihn schon zum weltweit gefeierten Komponisten gemacht, als sich der Enddreißiger 1902/1903 anschickte, in Gestalt der „Symphonia domestica“ sein häusliches und Ehe-Leben in Klänge zu gießen.
Erster unter Gleichen
Kaum weniger prominent als die Tonsetzer sind die Interpreten im Benefizkonzert zum Ersten Advent: Am Klavier nimmt Igor Levit Platz. Der 1987 in Gorki (heute wieder Nischni Nowgorod) geborene Deutsch-Russe steht technisch sternenweit über den Dingen, kann sich folglich ganz aufs Gestalten konzentrieren – und gehört diesbezüglich derzeit zu den interessantesten Tastenlöwen in der Manege im Klassik-Zirkus. Levit ist kein Poser, kein Angeber. Er zieht sich beinahe skrupulös hinter die Musik zurück und hat mit dieser Musizierhaltung auch und gerade mit Werken Ludwig van Beethovens schon Maßstäbe gesetzt. Mit den späten Klaviersonaten auf CD und mit dem dritten Klavierkonzert bei seinem Debüt mit dem Gewandhausorchester im März dieses Jahres. Kristallin war da sein Spiel, federnd, nuancenreich und immer bemüht, als Erster unter Gleichen aufzugehen. Dabei stand ihm am Pult Gewandhaus-Ehrendirigent Herbert Blomstedt zur Seite.
Unvergessener Bruckner
Nun, beim Fünften, dem „Kaiser“-Konzert im Benefizkonzert, übernimmt diesen Part Franz Welser-Möst. Auch der hat zuvor erst ein einziges Mal mit dem Gewandhausorchester gearbeitet. Anfang Dezember 2016 war es, Bruckners letzte vollendete, die achte Sinfonie stand auf dem Programm. Und wer diese zwei Stunden seinerzeit erlebte, wird sie bis heute nicht vergessen haben. Seine Befähigung, Klang zu strukturieren, ihn durchhörbar zu machen für Linien, ihn zu ordnen wie ein Architekt, sie kommt dem weltweit gefragten 59-Jährigen auch in der Leipziger Benefiz-Gala zu Gute. Denn es gibt wenige Werke, in denen es mehr Töne sinnstiftend zu ordnen, durchhörbar zu machen, zu strukturieren gibt.
Häuslicher Alltag in Tönen
Die Intimität, ja Alltäglichkeit des Sujets dieser vorletzten Symphonischen Dichtung, der häusliche Alltag eben des Richard Strauss, seiner Frau Pauline und des kleinen Richard junior, sie stehen im bizarren Widerspruch zum sinfonischen Aufwand dieser prallen 40 Minuten: Das Orchester ist riesig, die Kunstfertigkeit, mit der Strauss die drei Themen, die den familiären Protagonisten zuzuordnen sind, immer wieder neu kombiniert, durchführt, färbt, zerlegt und schließlich zur gewaltigen Fuge schichtet, sie verlässt in keinem Takt den Gipfel der Gattung.
Pathos und Selbstironie
Die Zeitgenossen taten sich etwas schwer mit der Vorstellung, dass der Komponist, der schon zu seiner sinfonischen Autobiographie „Ein Heldenleben“ 1899 verlautbart hatte, er finde sich ebenso interessant wie Napoleon – dem Beethoven seine „Eroica“ gewidmet hatte, sich schon wieder selbst feierte. Doch wer aufmerksam hinhört, wird zwischen all dem nicht zu bestreitenden Pathos der „Symphonia domestica“, neben all der (Selbst-)Liebe, dem Witz, der bürgerlichen Behaglichkeit auch jede Menge Selbstironie finden. Nur den Sex, den hat Strauss erst im „Rosenkavalier“ so richtig mit Tönen zu fassen bekommen.
Genau der Richtige
Wie auch immer: Franz Welser Möst, der Chefdirigent der Zürcher Oper war und noch bis mindestens 2027 das traditionsreiche Cleveland Orchestra
leitet, der Dauer-Dirigent der Wiener Neujahrskonzerte und Dauergast der Salzburger und eigentlich aller maßgeblichen Musikfestivals Festspiele, ist genau der Richtige für diese Musik. Sein Musizieren zeichnet sich durch sinnlichen Ernst aus, sein Schlag durch inspirierende Geschmeidigkeit.
Und ein Werk, das dem großen Glück einer kleinen Familie ein Denkmal setzt, ist gewiss auch genau das richtige, wenn es darum geht, Kindern zu helfen, denen das Schicksal dieses Glück vorenthält.
Samstag, 1. Dezember, 20 Uhr, Gewandhaus: Gala für die Stiftung „Leipzig hilft Kindern“, Karten gibt’s mit sehr viel Glück noch an der Abendkasse. Die Sinfonie domestica dirigiert Welser Möst bereits in den Großen Concerten am 28. und 29. November. Karten unter Tel. 0800 2181050, in allen LVZ-Geschäftsstellen oder auf www.ticketgalerie.de, an der Gewandhauskasse respektive unter Telefon 0341 127280. Wenn Sie die Arbeit der Stiftung Leipzig hilft Kindern unterstützen möchten, ist Ihre Spende willkommen: Sparkasse Leipzig IBAN: DE16860555921100902003; BIC: WELADE8LXXX; Verwendungszweck: Spende für die Stiftung „Leipzig hilft Kindern“; www.leipzig-hilft-kindern.de
Von Peter Korfmacher
Foto oben: Franz Welser-Möst dirigiert das Gewandhausorchester. Foto: André Kempner
Aus der LVZ vom 13. November 2019.
Den Originalbeitrag finden Sie unter diesem Link.